Bündnis "Gesichtserkennung stoppen" kritisiert das Sicherheitspaket.

Eine Papiertüte ist nur der zweitbeste Schutz gegen Gesichtserkennung. Foto: Digitale Freiheit / Gesichtserkennung Stoppen
Article Body

Das Bündnis "Gesichtserkennung stoppen" kritisiert die angepassten Maßnahmen des sogenannten Sicherheitspakets, das am Mittwoch, den 16. Oktober 2024 im Innenausschuss des Bundestages beraten und noch in derselben Woche vom Parlament beschlossen werden soll. Wir dokumentieren die Pressemitteilung des Bündnis "Gesichtserkennung stoppen" vom 15. Oktober 2024:

'In einer *gemeinsamen Stellungnahme* erklärt das *Bündnis „Gesichtserkennung Stoppen“*: „Das sogenannte Sicherheitspaket ist die größte Enttäuschung im Hinblick auf Bürgerrechte seit Beginn der Ampel-Regierung. Unter dem Eindruck des Anschlags in Solingen und mehrerer Landtagswahlen ist die Koalition von ihrem Anspruch auf eine vorausschauende, evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheits- und Innenpolitik abgerückt. Trotz der
breiten Kritik der geladenen Sachverständigen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen sollen die weitgehenden neuen Befugnisse noch diese Woche beschlossen werden.

Durch das Gesetzespaket erhalten Bundespolizei,  BKA und BAMF neue Befugnisse mit beispielloser Reichweite. Die neuen Befugnisse zum biometrischen Abgleich bzw. zur Identifizierung anhand von allen im Internet öffentlich zugänglichen Daten und die automatisierte Datenanalyse durch Anbietende wie Palantir, Clearview, PimEyes und Co greifen tief in die Grundprinzipien einer offenen, freiheitlichen und selbstbestimmten Gesellschaft ein. Sie verstoßen gegen EU-Recht und die deutsche Verfassung und brechen die Versprechen des Koalitionsvertrages, gegen biometrische Massenüberwachung vorzugehen.
 
Die vorliegenden Änderungsanträge können auch die Bedenken gegenüber dem Missbrauchspotenzial der neuen Befugnisse, der strukturellen Diskriminierung und der grundrechtsschonenden Durchsetzung nicht aus dem Weg räumen. Insbesondere mit Blick auf das Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte sind das Sicherheitspaket und die darin enthaltenen Maßnahmen zutiefst besorgniserregend.“
 
*Zudem nehmen wie folgt Stellung:*
 
*Svea Windwehr*, Co-Vorsitzende von*D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt:* „Das Sicherheitspaket macht unsere Gesellschaft unsicherer und schwächt unsere Demokratie. Der angebliche Gewinn an Sicherheit steht in keinem  Verhältnis zu dem massiven Eingriff in Grundrechte wie dem Recht auf Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung. Auch die Änderungsanträge der Ampel-Fraktionen können die fundamentalen Bedenken am sogenannten Sicherheitspaket nicht ausräumen. Es bleibt zudem unklar, wie die Maßnahmen mit europäischen
Vorgaben vereinbar sein sollen. Damit hält die Ampel an einem Kurs fest, der populistische Narrative stärkt, Rechte von besonders Schutzbedürftigen untergräbt und die Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages bricht.“
 
*Matthias Spielkamp*, Geschäftsführer von *AlgorithmWatch*: „Die Bemühungen einzelner Ampel-Parlamentarier*innen, das „Sicherheitspaket“ so zu ändern, dass es nicht gegen Grundrechte verstößt, beruhigen uns nicht im Geringsten. Es gibt keine Möglichkeit, Bilder von Verdächtigen mit denen aus dem Internet zu vergleichen, ohne eine Super-Datenbank mit Bildern von allen anzulegen. Das gefährdet die Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Autonomie in einer demokratischen Gesellschaft. Die Begründung, dass dadurch Morde wie in Solingen verhindert würden, ist höchst zweifelhaft. Stattdessen wird die Debatte befeuert, Migration gefährde die Sicherheit . Das ist falsch und Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Wir lehnen das Gesetz weiterhin ab und werden nach Wegen suchen, es zu verhindern, im Zweifel mit einer Verfassungsbeschwerde. Wir setzen auf zielgerichtete Polizeiarbeit, mit der Verbrechen verfassungs- und bürgerrechtskonform verhindert und aufklärt werden.“
 
*Christian Mihr*, stellvertretender Generalsekretär von *Amnesty International in Deutschland*: „Die Änderungen in einzelnen Bereichen haben das grundsätzliche Problem nicht behoben: Künftig müssten alle Menschen, die im Internet Fotos, Videos oder Tonaufnahmen hochladen, damit rechnen, dass diese mit biometrischer Überwachungstechnologie durchsucht und analysiert werden dürfen. Das hat einschüchternde Auswirkungen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Es kann von menschenrechtsfeindlichen
politischen Kräften missbraucht werden. Und laut technischen Expert*innen müssten dafür riesige Datenbanken aufgebaut werden, die von der KI-Verordnung verboten sind. Auch Racial Profiling wird durch die Maßnahmen weiterhin gefördert. Die grundsätzlichen Kritikpunkte bleiben also bestehen und sind so schwerwiegend, dass das Maßnahmenpaket vollständig in den Schredder gehört.“
 
*Elina Eickstädt*, Sprecherin des *Chaos Computer Clubs*: „Die vorliegenden Änderungsanträge sind lediglich Augenwischerei im Hinblick auf die geplante biometrische Massenüberwachung. Die Bundesregierung ignoriert weiterhin die Fehleranfälligkeit und die Risiken von KI. Sie schafft die Grundlage für eine dystopische Zukunft, in der niemand mehr anonym im öffentlichen Raum oder im Internet unterwegs sein kann. Als Reaktion auf ein solches Gesetz müssten wir ernsthaft darüber nachdenken, wie Überwachungsmaßnahmen sabotiert und abgeschaltet werden können.“
 
*Tom Jennissen *von der *Digitalen Gesellschaft*: „Die Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspakets wäre die endgültige Abkehr der Ampel-Koalition vom Anspruch einer den Grundrechten verpflichteten Sicherheitspolitik. Die kleinen Änderungen, die nun eingefügt werden sollen, sind rein kosmetisch und ändern nichts daran, dass die Maßnahmen zu einem massiven Ausbau biometrischer Massenüberwachung, willkürlichen Polizeikontrollen und einer weitgehend entgrenzten Datenverarbeitung führen werden. Das ist die Agenda autoritärer Populisten und nicht die einer  „Fortschrittskoalition“.“
 
*Teresa Widlok* von *LOAD e.V.*: "Das sogenannte Sicherheitspaket führt die rechtlichen und technischen Möglichkeiten für biometrische Überwachung und eine polizeiliche Superdatenbank ein. Zwar haben die Verhandler an vielen Stellen Schutzmaßnahmen eingebaut, die auch teilweise sehr erheblich sind – doch auch das ist letztlich nur Flickschusterei. Das eigentliche Problem ist, dass solche digitalen Befugnisse überhaupt zur Diskussion stehen. Im Windschatten der Empörung über Solingen haben die Sicherheitsbehörden ihre Chance gewittert und die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um die Idee eines anonymen Internets weiter zu untergraben. Die Ergebnisse der aktuell noch laufenden Überwachungsgesamtrechnung wurden ebenfalls nicht abgewartet. Die Büchse der Pandora für noch weitergehende Überwachungsbefugnisse ist damit geöffnet."
 
*Caroline Krohn* von der*AG Nachhaltige Digitalisierung* stellt fest: Die Parlamentarier*innen sind von dem populistischen Gesetzesvorhaben überrumpelt worden. Hinter vorgehaltener Hand hält kaum ein*e Abgeordnete*r der
regierungsnahen Fraktionen die Maßnahmen für effektiv, richtig und/oder moralisch vertretbar. Partei-, fraktions-, koalitionsinterne Zwänge sowie machtpolitisches Kalkül zwingen die Abgeordneten, sich von ihrem eigenen Gewissen und der Kontrollfunktion des Parlaments abzuwenden und sich der Gesetzesvorgabe zu beugen - zu Lasten der Freiheit und der Selbstbestimmung aller und zu Lasten der akuten Sicherheit und Unversehrtheit vulnerabler Gruppen, die bei all dem Feilschen um bessere Formulierungen in den Verhandlungsrunden schlicht keine Rolle gespielt zu haben scheinen. Dieses Gesetz gehört in Gänze verworfen. Es bleibt zu hoffen, dass die Mitglieder des Bundestages den Mut dazu finden.
 
*Lotte Burmeister* von *Digitale Freiheit*: „Eine Hose runter, alle Hosen runter - Das Vorhaben verkennt die technische Unmöglichkeit, nur Gesichter von Tatverdächtigen aus dem Internet zu ziehen. Stattdessen wird eine staatliche „Gesichterdatenbank“ bestehend aus Fotos von Social Media Rückschlüsse auf unser aller sexuelle Orientierung, politische Einstellung und Arbeitgeber bieten. Wenn die Ampel-Parteien noch glaubwürdig sein möchten, sollten sie auf eine solche Rechtsgrundlage verzichten und stattdessen wie im Koalitionsvertrag angelegt ein umfassendes nationales Verbot biometrischer Massenüberwachung im öffentlichen Raum beschließen.“